Elf Regeln für die gute Debatte
Wenn Menschen mit unterschiedlichen Meinungen aufeinandertreffen, gewinnen im besten Fall alle Beteiligten neue Informationen und Perspektiven. Im schlechten Fall läuft das Gespräch aus dem Ruder – und niemand hat etwas davon. Ob eine Diskussion eskaliert oder produktiv verläuft, ist dabei weder Zufall noch Schicksal. Diese Regeln helfen dabei, dass die Debatte gelingt.
- Eine Diskussion ist kein Wettkampf
Du bist schlagfertig, kannst gut reden und sogar deine Lehrer an die Wand argumentieren? Denk immer daran: Eine Diskussion ist kein Wettkampf! Setzt du auf Sieg und redest den anderen in Grund und Boden, gewinnt nur dein Ego – das Gespräch dagegen verliert. Denn nur weil dein Gegenüber deinen Argumenten nichts mehr entgegensetzen kann, heißt das noch lange nicht, dass du ihn oder sie überzeugt hast. - Lasst einander ausreden
Wer ständig unterbrochen wird und nicht sagen kann, was er oder sie möchte, wird wütend oder steigt innerlich aus dem Gespräch aus. Die Folge: Die Diskussion eskaliert oder wird zum Monolog. Ohnehin kannst du erst dann „richtig“ antworten, wenn du alles gehört hast, was dein Diskussionspartner oder deine Diskussionspartnerin zu sagen hatte. - Begründe deinen Standpunkt
Klar, deine Meinung ist wichtig. Aber wenn ihr euch nur eure Meinungen an den Kopf werft, kommt das Gespräch nicht weiter. Bloße Meinungsäußerungen, Behauptungen und Schlagworte führen dazu, dass die Fronten sich verhärten. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, ist es wichtig, mitzuteilen, warum du dieser Meinung bist. Begründe deinen Standpunkt mit Argumenten und konkreten Beispielen und lade dein Gegenüber ein, das Gleiche zu tun. - Hör aktiv zu
Hör aufmerksam zu, wenn dein Gegenüber spricht, und versuch zu verstehen, worum es ihr oder ihm vor allem geht. Fass zusammen, was bei dir angekommen ist. Etwa: „Wenn ich dich richtig verstanden habe, denkst du also …“ Nur so kannst du sicherstellen, dass du wirklich verstanden hast, was dem anderen wichtig ist, und Missverständnisse vermeiden. „Aktives Zuhören“ nennt man dieses Vorgehen in der Theorie der gewaltfreien Kommunikation. - Stell deine Fragen offen
Bei einer Diskussion gilt dieselbe Faustregel wie bei einem Interview: Wer verstehen möchte, wie der andere tickt, sollte möglichst viele offene Fragen stellen. Also Fragen, die sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten lassen und dem Gesprächspartner auch nicht eine Antwort in den Mund legen. Also etwa: „Was spricht denn für dich dafür oder dagegen, den öffentlichen Personennahverkehr kostenfrei zu machen?“ statt: „Du willst doch nicht mit der U-Bahn fahren, ohne dafür zu zahlen?“ Mit offenen Fragen signalisierst du aufrichtiges Interesse und legst eine gute Grundlage für das weitere Gespräch. Die wichtigste Frage für eine gelingende Debatte: „Warum glaubst du, dass …?“ - Finde Gemeinsamkeiten
In jedem Gespräch und mit jedem Gegenüber lassen sich Gemeinsamkeiten finden. Es lohnt sich, diese Gemeinsamkeiten auch zu benennen. Damit schaffst du eine gute Atmosphäre für die weitere Diskussion. Etwa: „Wir sind also beide der Meinung, dass es wichtig ist, Menschen in Not zu helfen.“ Zu wissen, wo man übereinstimmt und wo die Auffassungen auseinandergehen, hilft auch dabei, sich in der Debatte weniger im Kreis zu drehen. Vielleicht stellst du dabei sogar fest, dass eure Ansichten weniger weit voneinander entfernt liegen als ursprünglich gedacht. - Bleibt beim Thema
Wer sich argumentativ in die Ecke gedrängt fühlt, neigt dazu, plötzlich das Thema zu wechseln oder mit Gegenvorwürfen zu antworten, die mit dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun haben. Beklagt etwa jemand die Zunahme von Rechtsextremismus, heißt es dann oft: „Und was ist mit den Linken?“ Als ob das rechtsextreme Gewalt weniger gefährlich mache. Diese unsachliche Gesprächstechnik nennt sich „Whataboutismus“. Auf Deutsch also: „Und was ist mit …?“ Mach nicht mit beim Themenhopping, und lass dich nicht ablenken. Moderiere das Gespräch und hak nach: „Ich habe den Eindruck, dass das ein neuer Punkt ist. Kannst du mir erst noch erklären, was du gemeint hast, als du …?“ Mit einer solchen Frage bringst du auch wieder Struktur in das Gespräch. - Argumentiere auf Augenhöhe
Wer den anderen belehrt, zeigt, dass er sich überlegen fühlt. Das wirkt arrogant und führt meist dazu, dass dein Gegenüber abwehrend reagiert. Verzichte deshalb darauf, „moralisch“ zu werden und dem oder der anderen vorzuhalten, wo er oder sie sich aus deiner Sicht „schlecht“ verhält. Der Satz „Alle Fleischesser sind Mörder“ ist nicht unbedingt ein guter Einstieg in eine Diskussion, wenn dein Gegenüber auf Burger steht. Anstatt dem oder der anderen zu sagen, was er oder sie denken oder meinen soll, frag lieber konkret nach und stelle persönliche Bezüge her. „Hast du schon mal selbst erlebt, dass …?“, könnte eine solche Frage lauten. Bestenfalls bringt das deinen Gesprächspartner oder deine Gesprächspartnerin dazu, die eigene Argumentation noch mal zu überprüfen. - Kritisiere sachlich
Nur weil du dem oder der anderen eine eigene Meinung zugestehst, musst du falsche Informationen aber nicht einfach stehen lassen. Mach auf faktische Fehler aufmerksam, deck voreilige Schlüsse auf und weise auch darauf hin, wenn dein Gegenüber seine Argumentation auf Verallgemeinerungen stützt – also etwa immer von „DEN Fahrradfahrern“ und „DEN Autofahrern“ spricht. Eine Diskussion kann es aushalten, wenn Lücken oder Widersprüche in der Argumentation klar erkennbar werden. Geh mit deiner Kritik aber gezielt und sparsam um – nicht jeder faktische Fehler oder Zahlendreher ist wichtig für die Diskussion. Das hilft auch dabei, eine offene Konfrontation zu vermeiden. - Bleib ruhig
In Diskussionen kochen häufig die Emotionen hoch und über. Auch wenn die Ansichten sehr gegensätzlich sind und du dich noch so sehr darüber ärgerst, welche Meinungen dein Gesprächspartner vertritt: Rede weiterhin nur über das Diskussionsthema und lass außen vor, dass dir möglicherweise auch der Kleidungsstil des anderen nicht gefällt. Achte darauf, dass du den anderen nicht kränkst, wenn du ihn kritisierst. Manchmal hilft auch Humor, um ein Gespräch zu entspannen. Wenn es doch mal emotional werden sollte, sprich deine Gefühle und die des Gegenübers direkt an. Etwa: „Ich merke, dass dich/mich dieses Thema sehr wütend machst.“ Dadurch bekommt man ein Bewusstsein dafür, was gerade schiefläuft. Wichtig ist in jedem Fall: ruhig bleiben. - Wechsel die Perspektive
Oft scheitern Diskussionen nicht nur an unterschiedlichen Meinungen, sondern an entgegengesetzten Wertvorstellungen. In solchen Fällen kann es helfen, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Überleg dir, wie du aus der Position des Gesprächspartners argumentieren könntest. Wenn deinem Gegenüber etwa der Schutz der Familie besonders wichtig ist und er oder sie aber dem Familiennachzug von Geflüchteten skeptisch gegenübersteht, könntest du versuchen, vor diesem Hintergrund zu argumentieren.
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